Gut 70 Teilnehmer diskutierten am Wochenende auf dem ehemaligen Stasi-Gelände in der Ruschestraße über ein Buch, das vor 40 Jahren am gleichen Ort für Unruhe sorgte: Rudolf Bahros „Alternative“. Eingeladen hatten das Museum Lichtenberg, die Robert-Havemann-Gesellschaft, der Christoph-Links-Verlag und die Heinrich-Böll-Stiftung.
Die Auswertung des Nachlasses von Rudi Wetzel, einem Weggefährten Bahros brachte neue Erkenntnisse zur Entstehungsgeschichte des Buches, wie Dr. Thomas Thiele, Leiter des Museums Lichtenberg, berichtete: „Die SED und damit die Staatssicherheit hatte kein Interesse daran, zugeben zu müssen, dass es einen ganzen Kreis von Kritikern in den eigenen Reihen gab. Offenbar wurde deshalb die Person Bahros so in den Mittelpunkt gestellt.“
Neben der Geschichte der für Bahro folgenreichen Veröffentlichung standen Teile seiner Thesen zur Diskussion: die Vorschläge für einen „anderen Sozialismus“ sowie deren Resonanz in den reformorientierten und systemkritischen Gruppen in der DDR. Die Gründung solcher halblegalen Gruppen, die sich in den Räumen der evangelischen Kirche über „weiße Flecken“ in der Geschichte der Sowjetunion fortbildeten, können als eine Folge von Bahros Aufforderung zur Fortbildung angesehen werden, unterstrich die Mitarbeiterin der Robert-Havemann-Gesellschaft, Tina Krone.
Wie unterschiedlich der historische Reformtext, der damals so viele Hoffnungen weckte, heute gelesen werden kann, zeigt die Zusammenfassung von Dr. Ines Weber einerseits: „schlimmer, als das, was in der DDR schon bestand!“, wie andererseits die Einschätzung von Thomas Schubert als „Dokument einer politischen Religion und Theologie“.
Welche Vorstellungen aus Bahros „Die Alternative“ noch aktuell diskutiert werden, kam abschließend zur Sprache. Fragen wie Wachstumskritik, Ressourcenschonung und Work-Life-Balance stehen heute mehr im Mittelpunkt der Debatten als den je. „Sie stehen aber nicht in der Tradition Rudolf Bahros“, stellte Andreas Siemoneit von vom Förderverein Wachstumswende fest, „Die wenigsten, die sich an diesem Diskurs beteiligen, werden den Namen Rudolf Bahro kennen.“
Für die weitere Erforschung des Kreises um Rudolf Bahro durch das Museum Lichtenberg war die Tagung ein wichtiger Schritt.
Samstag, 21. Oktober 2017, 10–17 Uhr | Konferenz
Vor vierzig Jahren veröffentlichte der Spiegel den Vorabdruck der Sozialismuskritik „Die Alternative“ von Rudolf Bahro. Bahro wurde verhaftet und in die U-Haft des MfS nach Berlin-Hohenschönhausen gebracht. Wenig später erschien das Buch in der Europäischen Verlagsanstalt. Dass die Publikation nicht das Werk der Einzelperson Bahro war, ist wenigen bekannt. Wer ihn unterstützte, was seine Kritik am Realsozialismus bewirkte und wie sie mit historischem Abstand zu bewerten ist, möchte diese Konferenz ergründen. Es werden Kenner des Buches, der historischen Person Rudolf Bahro, ehemals Beteiligte und von der Arbeit Beeinflusste oder Angeregte zu Wort kommen.
10.00 Uhr: Einlass und Registrierung
10.15 Uhr: Begrüßung
Dr. Thomas Thiele, Leiter des Museums Lichtenberg
10.30–11.30 Uhr: Einführungsvorträge
Rudolf Bahros „Alternative“ – Größe und Grenzen einer Konzeption
Dr. Guntolf Herzberg, Philosoph und Bahro-Biograf
„Die Alternative“ - Dokument einer politischen Religion und Theologie?
Dr. Thomas Schubert, Politikwissenschaftler, TU Chemnitz
11.30–12.30 Uhr: Panel 1: „Wessen Alternative – ein tragfähiges Konzept?“
Welche Rolle nimmt die „Alternative“ in der marxistischen Systemkritik ein und war sie mehr als politische Utopie? Welchen Bezug hatte sie zu anderen Reformideen, so zu denen Robert Havemanns oder osteuropäischer „Dissidenten“?
Dr. Alexander Amberger, Politikwissenschaftler
Wolfgang Templin, aktiv in der DDR- Friedens-, Umwelt- und Menschenrechtsbewegung, Verbindungen zu polnischen Charta- und Solidarność-Gruppen
Dr. Ines Weber, Politikwissenschaftlerin, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Sozialwissenschaften - Bereich Politikwissenschaft - der Christian-Albrechts-Universität Kiel
Moderation: NN
12.30–13.30 Uhr: Mittagspause
13.30–14.30 Uhr: Panel 2: „Offener Kreis – geschlossener Zirkel?“
Welche Wege nahm das Manuskript bis zur Veröffentlichung, wer unterstütze Bahros Arbeit und wer erhielt aus welchen Gründen Zutritt zu den unterstützenden Personenkreisen?
Dr. Thomas Thiele, Leiter des Museums Lichtenberg stellt neuste Forschungsergebnisse über Bahros Unterstützerkreis vor.
Diskutierende:
Dr. Guntolf Herzberg
Ulrich Schwarz, Journalist, 1976/77 und 1985-89 Korrespondent bei DER SPIEGEL in Ostberlin
Agnete Kutar, Weggefährtin von Rudolf Bahro
Moderation: Dr. Bernd Florath, Historiker
14.30–14.45 Uhr: Kurze Pause
14.45–15.45 Uhr: Panel 3: „Und schweigt ihr Bahro dreimal tot …“
Wie gingen der Staat und die SED mit der öffentlich gewordenen Systemkritik um? Welche Resonanz hatten die Thesen Bahros auf Diskussionen in reformorientierten oder systemkritischen Kreisen?
Hannes Schwenger, Literaturwissenschaftler, Publizist und Schriftsteller, Mitbegründer des Schutzkomitees Freiheit und Sozialismus
Tina Krone, aktiv in der DDR-Friedens-, Umwelt- und Menschenrechtsbewegung,
Moderation: Dr. Christoph Links, Verleger
15.45–16.00 Uhr: Kurze Pause
16.00–16.10 Uhr: Vorstellung des Nachlasses von Rudolf Bahro
Der Nachlass befindet sich im »Grünen Gedächtnis« der Heinrich-Böll-Stiftung und wurde archivisch verzeichnet sowie erschlossen.
Dr. Christoph Becker-Schaum, Archivleiter des Grünen Gedächtnisses der Heinrich-Böll-Stiftung
16.15–17.00 Uhr: Abschlussdiskussion: „Was bleibt von Bahros Alternative?“
Welche Relevanz haben Bahros Thesen heute und gibt in der Gegenwart Gesellschaftsmodelle und -entwürfe oder Utopien mit vergleichbaren Intentionen
Dr. Rainer Land, Sozial- und Wirtschaftswissenschaftler
Andreas Simoneit, Physiker und Wirtschaftsingenieur, Förderverein Wachstumswende
Mitarbeiter/innen der Berliner Attac-Gruppe Degrowth – Solidarisches Postwachstum
Moderation: Dr. Dirk Moldt, Historiker, Museum Lichtenberg
Hier finden Sie das Programm als → PDF-Datei.
Eine Konferenz des Museums Lichtenberg in Zusammenarbeit mit dem Christoph Links Verlag, der Robert Havemann Gesellschaft und der Heinrich-Böll-Stiftung, gefördert mit Mitteln der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur. Die Robert-Havemann-Gesellschaft wird gefördert durch den Berliner Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen und durch die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien.
Ort: Ruschestraße 103, 10365 Berlin, Haus 22
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