In der Revolution ging es zunächst um Frieden und Brot. Dann um Demokratie. Als es schließlich um Verteilungs- und damit um die eigentlichen Machtfragen ging, zerbrach die revolutionäre Bewegung und konnte brutal niedergeschlagen werden. Die Märzkämpfe 1919 markieren damit das blutigste Kapitel der Revolution in der Hauptstadt, aber auch im gesamten Deutschen Reich kam es immer wieder zu Aufständen, die meist mit massiver Gewalt niedergeschlagen wurden. Auslöser waren Forderungen nach weitergehenden Reformen, etwa nach Sozialisierung und Verbesserung der Situation der Arbeiter*innen oder einer Demokratisierung der durch die Revolution kaum veränderten kaiserlichen Verwaltungsstrukturen. Nachdem die Monarchie gestürzt war, ging es jetzt um die Konfrontation mit dem bürgerlich-kapitalistischen System.
Trotz der Tatsache, dass an den Grundfesten der marktwirtschaftlich-kapitalistischen Ordnung heutzutage kaum noch gerüttelt wird, gerät die Ausrichtung der Politik an den Bedürfnissen des Marktes auch heute wieder zunehmend unter Druck. Die Frage, wie wir arbeiten und damit wie wir leben wollen, gewinnt aufgrund von potentiellen Jobverlusten durch Digitalisierungsprozesse und zunehmend absurden Einkommens- und Vermögensungleichheiten auch 2018 wieder an politischem Gewicht. Es stellen sich weiterhin Fragen nach Umverteilung und bedingungslosem Grundeinkommen, aber auch nach Formen zukünftiger Arbeitskämpfe.
Wenn 100 Jahre nach der Einführung des Achtstundentages, die eine zentrale Errungenschaft der Revolution war, wieder gegen 60-Stundenwochen demonstriert wird, was sagt das über den Stand der Dinge? Wenn neue Studien besagen, dass die Einkommensungleichheit in Deutschland auf dem Stand von 1913 ist, was sagt uns das über die Idee gesellschaftlichen Fortschritts? Kommt der nächste Krieg oder die nächste Revolution? Welche Form der betrieblichen Mitbestimmung bräuchte es heute, um Arbeitnehmerrechte zu verteidigen? Was bedeutet der Sozialisierungsparagraph im Grundgesetz, der dem Staat theoretisch ermöglicht, Privateigentum zum Wohl der Bevölkerung zu verstaatlichen? Wie utopisch ist das bedingungslose Grundeinkommen eigentlich noch?
Mit Adrienne Goehler, Ralf Hoffrogge (Deutsche Wohnen enteignen), Britta Ohm (Koordinationskreis Netzwerk Gute Arbeit in der Wissenschaft) und Dirk Linder (IG Metall)
Moderation: Christine Watty, Deutschlandfunk Kultu
Adrienne Goehler ist Publizistin und Kuratorin und war von 1989 bis 2001 Präsidentin der Hochschule für bildende Künste Hamburg. Von 2001 bis 2002 war sie Berliner Senatorin und anschließend bis 2006 Kuratorin des Hauptstadtkulturfonds. Seit 2006 ist sie freie Kuratorin und Autorin. 2018 - 19 übte sie einen Fellowship am Institute for Sustainability Studies in Potsdam aus. Außerdem ist sie Aufsichts- und Stiftungsrätin in einer Vielzahl von wissenschaftlichen und kulturellen Einrichtungen.
Dr. Britta Ohm studierte Politische Wissenschaft, Geschichte und Visuelle Kommunikation in Hamburg, Berlin und London und promovierte in Vergleichender Kultur- und Sozialanthropologie. Sie war Drehbuchautorin und -beraterin (u.a. ‚Kleines Fernsehspiel‘/ZDF) und arbeitete viele Jahre beim Fernsehen (DW, vor allem Schnitt). Seit den 1990er Jahren forscht sie zu Medien, Religion und Politik in Indien und der Türkei. Sie lehrte an den Universitäten Heidelberg, Frankfurt/Oder, Zürich, Bern und Jamia Millia Islamia (Delhi). Zurzeit lehrt sie an der privaten Hochschule der populären Künste (hdpk) in Berlin (auf Honorarverträgen) und ist Research Fellow am International Institute for Asian Studies in Leiden/Niederlande. Seit 2005 war sie immer wieder auf Hartz IV, u.a. um die Promotion fertig zu stellen, immer dann, wenn Drittmittelprojekte oder Stipendien ausliefen und während der Alterspflege ihrer Mutter. Mit NGAWiss engagiert sie sich für eine grundlegende Reform des Hochschulwesens, das heute - unter der Rhetorik von ‚Exzellenz‘ - regelhaft auf befristeten Verträgen und massenhaft unbezahlter Lehre beruht, was eine materielle Prekarisierung der Wissenschaftler*innen und eine geistige Verarmung der Institution nach sich zieht.
Ralf Hoffrogge ist im Hauptberuf Historiker. Seit 2014 arbeitet er im Institut für Soziale Bewegungen der Ruhr-Universität Bochum an einem Habilitationsprojekt mit dem Titel "Arbeit in der Krise - Gewerkschaftliche Krisendeutungen und Krisenpolitik in Deutschland und Großbritannien". Nach Feierabend ist er in der stadtpolitischen Bewegung aktiv. Er sammelte etwa 2015 Unterschriften für den Berliner Mietenvolksentscheid, aktuell engagiert er sich in einem neuen Volksentscheid für die Sozialisierung der "Deutsche Wohnen SE" und anderer börsennotierter Wohnungsunternehmen.
Dirk Linder hat den Beruf des Energiegeräteelektronikers bei Osram in Berlin gelernt und arbeitete dort bis 1997 als Schicht-Elektriker in der Maschineninstandhaltung. Von 1990 bis 2007 war er Betriebsratsmitglied bei Osram. Seit 1996 engagierte er sich in der IG Metall Berlin. Von 2007 bis 2009 wirkte er im Europäischen Betriebsrat von Siemens mit und engagierte sich anschließend in der internationalen Gewerkschaftsvernetzung der Friedrich-Ebert-Stiftung. Seit 2011 arbeitet er für die IG Metall als Koordinator des globalen gewerkschaftlichen Netzwerks bei Siemens.
In Kooperation mit Kulturprojekte Berlin
Veranstaltungsort: Revolutionszentrum Podewil, Klosterstraße 68, 10179 Berlin
Anmerkungen: Die Veranstaltung ist kostenlos! Teilnehmerzahl begrenzt
Diese Veranstaltung ist Teil des Begleitprogramms der Ausstellung "Schießbefehl für Lichtenberg"