1943 ermordeten die Nationalsozialisten viele aktive Gegner ihrer Ideologie, nach denen unter anderem auch in Lichtenberg Straßen und Plätze benannt sind. Wir erinnern in den folgenden Monaten mit Kurzbiografien an diese Antifaschist*innen.
20. February 1902 - 13. Mai 1943
Wihelm Guddorf wurde am 20. Februar 1902 in Melle bei Gent/Belgien geboren. Sein Vater, Ludwig Guddorf, war Universitätsprofessor und unterrichtete 29 Jahre lang an der internationalen Lehranstalt „Maison de Melle“ Deutsch, Literatur und Geschichte. Ab 1899 war er Professor an der neu gegründeten Wirtschaftshochschule. Mit Beginn des 1. Weltkrieges wurde die Familie, mit ihren insgesamt 5 Kindern, als Reichsdeutsche des Landes verwiesen. Die Familie Guddorf war gezwungen, ohne Hab und Gut ein neues zu Hause zu finden. Sie landete in Haselünne/Emsland. Dort fand Prof. Ludwig Guddorf eine Stelle als Lehrer an einer Mittelschule.
Wilhelm Guddorf, der älteste Sohn, besuchte mit seinem ein Jahr jüngeren Bruder August zunächst in Melle/Belgien fünf Jahre die gleiche Klasse der Volksschule (Gemeendeschool). Danach wechselten beide für zwei Jahre als Internatsschüler auf das dortige Kolleg der Josephiten. Der Vater sah die Zukunft seiner Söhne im Priesteramt. In Haselünne erhielten beide Brüder zunächst vom Vater Privatunterricht, bevor sie ab 1915 die dortige Lateinschule besuchten. Der hochbegabte Wilhelm übersprang eine Klasse und wechselte nach der 8. Klasse auf das Königliche Gymnasium zu Meppen, das er im Frühjahr 1920 nach der 12. Klasse verließ, weil er sich mit seinen Eltern wegen seiner „religiösen und moralischen Ansichten“ überworfen hatte. Er arbeitete als Hauslehrer auf einem Gut in Westpreußen und kehrte nach fast einem Jahr zurück, um im Herbst 1921 in Meppen die Reifeprüfung abzulegen. Anschließend begann er ein Studium in Münster: Philologie, Philosophie, Geschichte und Musikwissenschaften.
1922 trat der 20-Jährige in die KPD ein. Er arbeitete für mehrere kommunistische Zeitungen und übersetzte für sie die ausländische Presse. Im Herbst 1923 wurde er wegen Vorbereitung zum Hochverrat festgenommen. Man warf ihm vor, er sei ein besonders „gemeingefährlicher Kundschafter der KPD“. Im November 1923 gelang ihm die Flucht aus dem Schutzhaftlager Sennestadt. 1924-25 arbeitete er als Redakteur der „Freiheit“ und des „Rhein-Ruhr-Pressedienstes“ der KPD. Nach 2 ½ Jahren wurde er im Mai 1926 gefasst, saß seine Haftstrafe ab und wurde im August 1927 entlassen. Danach lebte er vom Sprachunterricht und von Übersetzungsarbeiten. Er schrieb wissenschaftliche Aufsätze philosophischen und literaturgeschichtlichen Inhalts für deutsche und ausländische Fachzeitschriften. Gelegentlich hielt er auch Vorträge für Ortsgruppen der KPD. Als Mitarbeiter der „Roten Fahne“ leitete Guddorf in Berlin von 1927 bis 1932 das außenpolitische Ressort des KPD-Zentralorgans und veröffentlichte außenpolitische Artikel, Essays und historische Abhandlungen unter dem Pseudonym Paul Braun, das er sich in den Ruhrkämpfen zugelegt hatte. Diese Zeitung wurde 1929 verboten. Im Sommer 1932 schied er wegen parteiinterner Differenzen aus der Redaktion aus und arbeitete als Übersetzer. Ab 1933 war Wilhelm Guddorf illegal für die KPD tätig. 1934 verhaftete ihn die Gestapo. Seiner Folter und Misshandlung folgte eine Verurteilung zu drei Jahren Zuchthaus. Danach verbrachte er weitere zwei Jahre im KZ Sachsenhausen in „Schutzhaft“. Im Lager setzte er seine politische Arbeit mit Schulungen und Diskussionen fort. Seiner Freilassung im April 1939 folgte eine Anstellung im Antiquariat einer Berliner Buchhandlung. Inzwischen beherrschte er alle großen europäischen und slawischen Sprachen, dazu Arabisch, Latein, Altgriechisch und Hebräisch. In der Buchhandlung lernte er Eva-Maria Buch kennen, die ihn in der Folge bei seiner illegalen Arbeit unterstützte. Durch den Kontakt zu Freunden von Haftkameraden und ehemaligen Redaktionskollegen entstanden illegalen Verbindungen zu Berliner und Hamburger Hitlergegnern. Zu ihnen gehörten u.a. Robert Uhrig, Bernhardt Baestlein, John Sieg und Walter Husemann. Auch mit Harro Schulze-Boysen arbeitete er eng zusammen und verfasste mit ihm die Studie „Die wirtschaftlichen Grundlagen des nationalsozialistischen Deutschlands“. Sie leisteten mit ihren Gesinnungsgenossen Fluchthilfe für Verfolgte, druckten Flyer, starteten Plakataktionen, bemalten Wände mit Parolen und verbreiteten Informationen über die Verbrechen der Wehrmacht und die militärischen Probleme an der Ostfront. Am 15. Oktober 1942 verhaftete ihn die Gestapo im Zusammenhang mit dem Fahndungsvorgang „Rote Kapelle“. In der illegalen Arbeit dieser Organisation war er einer der führenden Köpfe. Am 3. Februar 1943 verurteilte ihn der 2. Senat des Reichskriegsgerichts zum Tode. Wie fast alle Festgenommenen war er in der Haft gefoltert worden, um von ihm Geständnisse zu erpressen. Wilhelm Guddorf wurde am 13. Mai 1943 in Berlin-Plötzensee mit zwölf weiteren Verurteilten durch das Fallbeil enthauptet. Die Hinrichtungen fanden zwischen 19:00 und 19:36 Uhr im Drei-Minuten Takt statt. Drei Monate später wurde auch seine 22-jährige Verlobte Eva-Maria Buch an gleicher Stelle hingerichtet.