Verbotsschild vor dem DDR-GefĂ€ngnis an der Hauptstraße

Freitag, 7. Januar – Donnerstag, 30. Juni 2011
+++ VerlÀngert bis 17. Juli 2011 +++

Eingeliefert nach Rummelsburg

1879–1933  StĂ€dtisches Arbeitshaus
1933–1945  NS-Zeit
1945–1951  Durchgangslager und Jugendarrest
1951–1990  DDR-Strafvollzugsanstalt

StÀdtisches Arbeitshaus 1894

 

Der Erinnerungsort Rummelsburg
Vom Berliner Stadtzentrum nur wenige Kilometer entfernt, lassen sich auf einem kleinen Areal an der Hauptstraße 8 in Rummelsburg bauliche Zeugnisse finden, die an historische Lasten gleich aus verschiedenen Epochen erinnern. Es begann mit der Nutzung eines preußischen Arbeitshauses und endete mit der Schließung einer DDR-Haftanstalt. Die alten Klinkerbauten dieser Einrichtungen sind inzwischen fĂŒr Wohnzwecke saniert, umgebaut und lukrativ vermarktet worden. Durch den Umstand, dass hinter diesen Mauern ĂŒber alle Perioden hinweg Unrecht geschah, ist ihre Umwidmung jedoch umstritten. Mit der Luxussanierung wurde einer der belangreichsten geschichtspolitischen Orte in Berlin ohne vorherige öffentliche Frage- oder Infragestellung schlichtweg enthistorisiert.

Der Erinnerungsprozess ist indes nicht abgeschlossen. Mit der Ausstellung »Eingeliefert nach Rummelsburg« beabsichtigt das Museum Lichtenberg, ĂŒber den Ort aufzuklĂ€ren, und sie will als Anregung verstanden werden, die historischen Kontexte dieses Stadtraumes weiter diskursiv zu behandeln. Selbstredend soll auch ein Zeichen fĂŒr ein ĂŒbergreifendes Erinnern, Gedenken und Mahnen gesetzt werden, das jenen Menschen gewidmet ist, die an dieser StĂ€tte gelitten und ihre Menschenrechte und Lebenschancen eingebĂŒĂŸt haben, die Opfer von Verfolgung und im Nationalsozialismus selbst von Vernichtung wurden. Wegen der großen zeitlichen Distanz gestaltete sich besonders die Spurensuche bis 1945 schwierig. Der Umgang mit dem historischen Ort schließt die Einordnung aller Verfolgten ein. Zuletzt gehörten hierzu die in der DDR Inhaftierten, die aus politischen oder ideologischen GrĂŒnden Opfer von staatlicher Repression und WillkĂŒr geworden sind. Viele von ihnen leiden noch heute unter den Folgen dieses Haftregimes.

Die Ausstellung
Auf der Basis des gegenwĂ€rtigen Forschungsstandes greift die Ausstellung die ungleichen historischen Komponenten des Erinnerungsortes chronologisch auf und vermittelt erstmals in dieser Geschlossenheit einen Abriss seiner 110-jĂ€hrigen Geschichte. Es erschließt sich eine »Parallelwelt« hinter Mauern und Gittern. Wie ein roter Faden ziehen sich die HintergrĂŒnde und Funktionsweise der Anstalten wie auch die Verfolgung von Menschen durch drei thematische EinzelbeitrĂ€ge. Die Ergebnisse ermöglichen eine differenzierte Sicht auf die Geschehnisse. Jeder Zeitabschnitt hat seine eigene Gewichtung, was die Problematik der »vielfachen Erinnerung« besonders verdeutlicht.

Gezeigt werden ungewohnte Fotos und Dokumente und eine 3D-PrĂ€sentation stellt einen visuellen Zugang zu dem historischen Areal und seinem GebĂ€udebestand her. In Interviews beschreiben ehemalige HĂ€ftlinge ihre durchlebte Haft in dem DDR-GefĂ€ngnis. Die BeitrĂ€ge beziehen sich insbesondere auf diejenigen, die aus politischen GrĂŒnden Erfahrungen mit dem Haftort machen mussten.

Einzelzelle im Arbeitshaus 1920,
Foto: akg-images

Das stÀdtische Arbeitshaus Rummelsburg
Erbaut zwischen 1877 und 1879 von Hermann Blankenstein, stellte das stĂ€dtische Arbeitshaus eine Weiterentwicklung von Einrichtungen dar, die auch KorrektionshĂ€user oder Korrigendenanstalten genannt wurden und den GefĂ€ngnissen Ă€hnelten. Seine besondere Lage am See und die erwĂ€hnenswerte Architektur der sechs »VerwahrhĂ€user«, eines VerwaltungsgebĂ€udes, mehrerer Beamten-WohnhĂ€user, Wirtschaftsbauten und einer Kirche dĂŒrfen nicht darĂŒber hinwegtĂ€uschen, dass auch hier der Disziplinierungs- und Strafcharakter gegenĂŒber sozialen Außenseitern immer im Vordergrund stand. Es traf die Ärmsten der Armen, die an den Rand der Gesellschaft GedrĂ€ngten, die der Staat hier verwahrte und von der Gesellschaft isolierte. Bettler, Obdachlose, sogenannte Arbeitsscheue, Prostituierte und kleine StraftĂ€ter sollten durch »Arbeit und strenge Zucht« gebessert werden. Dazu kamen Hospitaliten der »stationĂ€ren« Armenpflege, arbeitsunfĂ€hige, alte, sieche und mittellose »bescholtene« PflegebedĂŒrftige, denen andere stĂ€dtische HospitĂ€ler verschlossen blieben.

Das Arbeitshaus Rummelsburg in der NS-Zeit

In der Weimarer Republik erfolgte eine Liberalisierung der ZustĂ€nde im Arbeitshaus, die sich mit dem Machtantritt der Nationalsozialisten auf verhĂ€ngnisvolle Weise wieder Ă€nderten. Die Methoden der Verfolgung von Minderheiten erreichten nach 1933 eine bis dahin nicht vorstellbare Zielstrebigkeit. In welchem Ausmaß die wehrlosen Menschen im Arbeitshaus durch Zwangsarbeit umkamen oder Opfer der systematischen NS-Vernichtungsaktionen wurden, konnte bisher noch nicht aufgeklĂ€rt werden. Ihre Namen und wirkliche Zahl wird man vielleicht erst nach Jahren kennen oder nicht mehr aufklĂ€ren können.

Als »asozial« bezeichnete Menschen zĂ€hlten wie politische Gegner und Juden zu den Ersten, die von den Nationalsozialisten nach der MachtĂŒbernahme verfolgt wurden. Bereits 1933 fanden im gesamten Reichsgebiet »Bettlerrazzien« gegen die »Gemeinschaftsfremden« statt. 1938 folgten mit der Aktion »Arbeitsscheu Reich« große Verhaftungswellen mit anschließender Verschleppung in Konzentrationslager. Ab 1937 plante die nationalsozialistische Berliner Stadtverwaltung den Ausbau des Arbeitshauses Rummelsburg zum zentralen Ort der Verfolgung von »Asozialen« aus Berlin und Brandenburg. Mit einer Anfang 1942 durchgefĂŒhrten »Musterbegutachtung« wurde in Rummelsburg ein letzter radikaler Schritt der Verfolgung von »Asozialen« vorbereitet, der die Ermordung vieler von ihnen vorsah.

Bruno S., NS-Verfolgter,
2008 am Gedenkort des frĂŒheren Arbeitshauses

 

Durchgangslager und Jugendarrest
Nach dem Zweiten Weltkrieg existierte das Arbeitshaus mit wenigen Einsitzenden nur noch als Provisorium. In den geringfĂŒgig zerstörten GebĂ€uden fanden jetzt auch FlĂŒchtlinge und Ausgebombte eine Bleibe, viele verstarben freilich an SchwĂ€che und Krankheiten. In den Jahren 1949 bis 1951 bestanden auf einem Teil des GelĂ€ndes ein Arresthaus fĂŒr mĂ€nnliche Jugendliche und ein Erziehungs- und Wohnheim fĂŒr weibliche Jugendliche. 

Die Strafvollzugs- und Untersuchungshaftanstalt Rummelsburg
Das Ministerium des Innern (MdI) der DDR unterhielt von 1951 bis 1990 das vormalige Arbeitshaus als eines seiner grĂ¶ĂŸten GefĂ€ngnisse. In welcher fatalen Tradition es stand, kommt erst jetzt nach und nach ans Licht. Entgegen damaligen offiziellen Verlautbarungen waren auch hier entwĂŒrdigende Reglementierungen, unsinnige Erziehungsrituale, Schikanen, Misshandlungen und Isolation von HĂ€ftlingen durchaus an der Tagesordnung.

Unter BerĂŒcksichtigung der Aufarbeitung der jĂŒngeren Zeitgeschichte konzentriert sich der Schwerpunkt dieser Ausstellung auf die Offenlegung der VerhĂ€ltnisse in diesem GefĂ€ngnis, in dem Zehntausende Menschen aus unterschiedlichsten GrĂŒnden monate- oder jahrelang im Vollzug oder in der Untersuchungshaft saßen. Es betraf Deutsche aus Ost und West wie auch AuslĂ€nder, doch nicht jeder nach den Gesetzen der DDR Verhaftete oder Verurteilte war tatsĂ€chlich ein StraftĂ€ter. Insbesondere gegen vermeintliche oder tatsĂ€chliche politische Gegner wurden drastische Formen der Repression und ein hohes Strafmaß angewandt, die aber auch unpolitische und religiös orientierte Menschen trafen. Dass sich die SED-FĂŒhrung durch die Gesetzgebung zugleich ihre machtpolitische Herrschaft sicherte, ĂŒberrascht angesichts der bis 1989 anhaltenden Fluchtbewegung aus dem Land nicht. Der wohl bekannteste Paragraph des DDR-Strafgesetzbuches, § 213 »Ungesetzlichen GrenzĂŒbertritt«, also »Republikflucht«, konnte mit bis zu acht Jahren Haft bestraft werden. Neben weiteren unrechtauslösenden Paragraphen wurde zudem bis zum Ende der DDR nach dem berĂŒchtigten § 249 StGB-DDR als »asozial« definiertes Verhalten mit Verurteilung zu maximal fĂŒnf Jahren GefĂ€ngnis geahndet.

Obwohl der Strafvollzug im Verantwortungsbereich des Ministeriums des Innern lag, hielt de facto das Ministerium fĂŒr Staatssicherheit in Rummelsburg in vielfacher Hinsicht die FĂ€den in der Hand. Mit einer MachtfĂŒlle ausgestattet, vermochte es nach Belieben Ermittlungsverfahren an sich zu ziehen. FĂŒr politische HĂ€ftlinge bedeutete die Haftanstalt Rummelsburg nur eine Zwischenstation, bevor sie in die GefĂ€ngnisse des Geheimapparates ĂŒberstellt wurden. HĂ€ufig handelte sich um Menschen, die nicht in der DDR leben wollten oder konnten und schon vor der Inhaftierung durch gesellschaftliche und berufliche Diskriminierungen repressive Maßnahmen zu spĂŒren bekommen hatten. 

Bilder unten: GefĂ€ngnisanlage vor der Umwidmung fĂŒr Wohnzwecke, Fotos: Peter Thieme / privat

Konzeption und Umsetzung: Christine Steer

Recherche und Text »Arbeitshaus«, »Strafvollzugsanstalt«: Christine Steer
Recherche und Text »NS-Zeit«: Thomas Irmer
3-D-Grafik und PrĂ€sentation, Interviews: Wolfgang RĂŒddenklau
Ausstellungsgestaltung und Design: Helga Lieser

 

Besonderer Dank gilt:
Gerhard Baer von der Berliner Senatsverwaltung fĂŒr Justiz,
Ulrich MĂŒller von der BStU, dem Bundesarchiv, Landesarchiv Berlin und akg-images, der GedenkstĂ€tte Berlin-Hohenschönhausen, der Forschungs- und GedenkstĂ€tte Normannenstraße »Stasi-Museum«, dem Förderkreis Museum Lichtenberg e. V., dem Berliner Arbeitskreis »Marginalisierte – gestern und heute!«, dem Aktiven Museum Faschismus und Widerstand in Berlin e. V.
sowie den Interviewpartnern Michael Bradler, Rainer Dellmuth, Dieter Drewitz, Mike Fröhnel, Lutz Hildebrandt, Horst JÀnichen, Cliewe Juritza, Vera Lengsfeld, Matthias Bath, Ehrhart Neubert, Hartmut Richter.

Im Rahmen der Ausstellung finden FĂŒhrungen ĂŒber das GelĂ€nde und durch die Ausstellung statt.

In der gedruckten Ausgabe der Berliner Zeitung erschienen am 20.05.11 zwei Artikel zur Thematik.

Ausstellungseröffnung: 7. Januar 2011, 15 Uhr

Am Sonntag, den 17. Juli 2011 findet zwischen 13 und 21 Uhr eine Abschlussveranstaltung zur Ausstellung statt.

 

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